Einkaufsbummel in der heißen Phase des Wahlkampfs - Was mir heute in der Fußgängerzone passierte - oder: "Made my Day"...
Es ist schon ein Ärgernis, in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes seine samstäglichen Erledigungen in der Stadt zu verrichten. Gut, wenn einem einfällt, dass man vor kurzem herzhaft über das außerordentlich gelungene Buch "Er ist wieder da" von Timur Vermes lachen mußte. So beschloss ich, einmal "der Führer" zu sein.
Die einzelnen Stände der Parteien waren an strategisch wichtigen Punkten innerhalb der Fußgängerzone aufgebaut und zwangen die Passanten zu wahren Hindernissläufen, wenn man ihnen entgehen wollte. Ich wollte jedoch nicht und steuerte zielstrebig in Richtung des Wahlkampfstandes der CDU, die sich vermutlich schon am Vorabend mit Handtüchern, Wimpeln oder Ähnlichem die beste Stelle mitten an einer Kreuzung gesichert hat. Es war gut, dass sich die "Wahlhelfer" durch die großen Buchstaben CDU als Anhänger dieser Partei zu erkennen gaben. Von ihrem Alter her und aufgrund ihres provokant biederen Erscheinungsbildes hätte man sie ansonsten problemlos mit der Partei bibeltreuer Christen, dem Männergesangverein Concordia oder den Zeugen Jehovas in Divisionsstärke verwechseln können. Ich schritt auf den Stand zu und wurde prompt von einem etwa achtzig Jährigen, ein wenig senil wirkenden Cordanzugträger angeraunzt: "Sie unterstützen kommenden Sonntag bestimmt auch die Arbeit der Kanzlerin?!?" Verblüfft von einer derartigen Suggestivrethorik erwiderte ich in loriothafter Form "Ach was?". "Wir bitten die Bürger darum, die hervorragende Arbeit der Kanzlerin dadurch zu unterstützen, dass sie ihr bei der anstehenden Bundestagswahl ihre Stimme geben. Kann Frau Merkel aus sie zählen?" Meinte der Cordjackenschrat in forderndem Ton. Ich erwiderte nach einer kunstvollen Pause: "Soso. Sie sind also die Handlanger des Wahlvereines dieser griesgrämigen und unförmigen Kanzlerinnendarstellerin?" Warum sollte ich jemanden unterstützen, der mir zutiefst unsympathisch ist und den Charme einer Spreewaldgurke besitzt. Es ginge ja nicht um Äußerlichkeiten sondern um politische Inhalte, konterte der Schrat. Ich antwortete nur: "Das wäre ja das erste Mal, dass es bei Wahlen um politische Inhalte gehen würde" und fragte, ob er wenigstens Kugelschreiber verteilen würde. Er gab mir keinen Kugelschreiber und drehte sich einer rüstigen Mittneunzigerin zu, die sich unter Zuhilfenahme eines Rollators dem Stand näherte. Diese Dame schien eher seinem Beuteschema zu entsprechen und ich wandte mich dem nächsten Stand zu, auf dessen Plakaten recht zurückhaltend SPD stand und den Passanten ein mürrisch-verschlagen aussehender altlicher Herr entgegenblickte. Die Wahlkämpfer unterschieden sich zum einen durch ihre deutlich geringere Anzahl und zudem durch eine deutlich erkennbarere Ungepflegtheit auf.
Offensichtlich wollten diese Personen gleich durch ihr Progamm überzeugen. "Kennen sie das Programm von Herrn Steinbrück?" fragte ein bärtiger Langzeitstudent. "Aha. Ihre Partei heißt also "Herr Steinbrück"? Verstehe ich das richtig?" Erwiderte ich auf diese selten einfältige Gesprächseröffnung. Der Wurzelsepp lachte jovial und meinte: Nein, nein. Wir sind die SPD und Herr Steinbrück ist unser Kanzlerkandidat. Also verstehe ich das richtig, dass ihre Partei kein Programm hat sondern nur dieser "Herr Steinbrück"? Nein, die SPD hat schon ein Programm, aber es ginge ja darum, den Herrn Steinbrück zu wählen. Also muss ich wenn ich den Herrn Steinbrück wähle, die SPD dann nicht gleich mitwählen? Dies wäre mir sehr angenehm. Der Bärtige wurde merklich ungehaltener und fragte, was ich denn gegen die SPD hätte. "Ich mag Parteien nicht, die "Sozial" im Namen haben und bei denen Leute wie "Peerlusconi" und "Gazprom-Schröder" ihre politische Heimat haben... Einen Kugelschreiber bekam ich auch hier nicht.
Am Nebenstand gab mir eine kurzhaarige Frau? eine Zwergsonnenblume und fragte mich, ob ich denn auch für Umwelt und Frieden wäre. Ich veränderte ein wenig meine Stimme und sagte: "Mein liebes Frollein. Ich müßte ja schon ein hirnverblödeter Idiot sein, wenn ich gegen die "Umwelt" und den schonenden Umgang mit unseren Volksdeutschen Rohstoffen wäre. Und Ihre Partei wäre mir höchst sympathisch, weil sie ja schließlich seinerzeit einen Angriffskrieg gegen den Balkan geführt habe." Ein Angriffskrieg wäre das nicht gewesen, sagte sie. So könne ich das UN Mandat aber nicht interpretieren. Ich meinte daraufhin nur zu ihr, das es ganz richtig sei, die Resolutionen des bolschewistisch unterwanderten Völkerbundes höchsteigen zu interpretieren. Das würde mir gefallen. Es hätte sinngemäß so etwas, wie seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen. Auf der Westerplatte hat sich das deutsche Reich ja auch gewehrt. So wie die Dame aussah und schnappatmete wollte ich nach einem Kugelschreiber gar nicht mehr fragen.
Ich kam an einem Einzelkämpfer der Alternative für Deutschland vorbei. Er hatte offensichtlich bereits seine Euros abgeschafft und konnte sich nicht einmal einen Biertisch - geschweige denn ein Zelt - leisten. Nach einem Kuli brauchte ich ihn sicher nicht zu fragen.
Piraten und FDP konnte ich nirgendwo entdecken. Sie hatten sich offensichtlich bereits in ihr Schicksal der politischen Bedeutungslosigkeit gefügt. Aber den Spaß mit unserer rechtsradikalen Partei wollte ich mir dann doch auf keinen Fall entgehen lassen. An deren Stand befanden sich vier ältere Herren von gepflegtem Äußeren und einheitlicher Kurzhaarfrisur, wie sie bei Wehrmachtsangehörigen wohl auch üblich ist. Einer der Herren hielt mir einen Zettel hin. Es war übrigens der einzige mit einem Zettel. Die anderen politischen Gruppierungen hatten Ihre Slogans offensichtlich auswendig gelernt und mussten diese nicht von einem Zettel ablesen. Die Nationalen schon. Überfremdung stoppen - Kriminelle Ausländer abschieben rief er mir zu und ich blieb stehen. "Wie wollen sie denn unsere Heimat schützen und was gedenken sie, gegen die Überfremdung zu tun?" Fragte ich mit recht barschem Ton. Man sollte die Täter nicht immer zu Opfern machen und sie sofort in ihre Heimatländer zurückschicken, wenn sie hier straffällig geworden sind, antwortete er. Ich sagte zu ihm. "Schauen sie sich um. Wir sind umzingelt von Usbeken, Kasachen, Türken, Asiaten, Arabern und ähnlichem Gevölk." Meinen sie das, was sie vorhaben reicht? Was wären sie denn für eine traurige national denkende Partei. Ein reine Würstchentruppe von Deutschländern. Sie sollten sich was schämen. Jetzt begann das Gespräch interessant zu werden. Er meinte nur, dass man ja nicht alles öffentlich sagen könne, was man wirklich denke und vorhabe. Ich wurde jetzt lauter und dachte daran, was Timur Vernes für einen Spaß gehabt haben muss, als er die Nazis verarschte. "Der Führer würde sich im Grab herumdrehen, bis er weißglühend wird, wenn er wüßte, dass sich eine Bewegung, die sich "national" schimpft nicht einmal traut zu ihrer Meinung zu stehen. Was ist Ihre Partei für ein Verein von armseligen Versagern und hinterweltlerisch deutschtümelnden Feiglingen? In Sewastopol hätte man ihren Sauhaufen bis auf den letzten Mann wegen Wehrkraftzersetzung standrechtlich erschossen." Der Nazi konnte nichts mehr sagen. Ich hörte es förmlich hinter seiner fliehenden Stirn mahlen und arbeiten und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, drehte mich um und ging.
Nach einem Kugelschreiber fragte ich gar nicht erst...
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